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Erfahrungsbericht von Johanna

 

Mit 17 Jahren bin ich in der 12. Klasse für ein Highschooljahr in die USA gegangen. Während meines Auslandsaufenthaltes merkte ich, dass mir die hohe Luftfeuchtigkeit und Temperaturen in Texas sehr zu schaffen machten. Auch den Unterschied zu den stark klimatisierten Klassenräumen empfand ich als sehr anstrengend. Ich schlief viel und brauchte für meine Schulaufgaben deutlich mehr Zeit als meine Mitschüler.innen. Mir selbst ist das auch aufgefallen, allerdings habe ich eher gedacht, dass das jetzt wohl so zu mir gehört und ich einfach mit den Umstellungen wie dem Wetter und den vielen neuen Menschen nicht so ganz zurechtkomme. Meine damals schon bekannte Migräne wurde stärker und ich war oft einfach so müde, dass ich nicht zur Schule gehen konnte. Nur wegen Müdigkeit und der allgemeinen Erschöpfung, die ich zu der Zeit noch gar nicht richtig benennen konnte, wollte ich mich auch nicht immer in der Schule krankmelden. Also habe ich mich oft völlig erschöpft zur Schule geschleppt, denn ich wollte ja auch immer dabei sein und ein bisschen unangenehm war mir meine nachlassende Belastbarkeit auch. So verging die Zeit in Texas und nach einem trotzdem einzigartigen und aufregendem Jahr bin ich Mitte 2010 wieder zurück nach Hamburg geflogen. Meiner Mutter fiel schnell auf, dass ich verändert und sehr viel erschöpfter war als noch vor meinem Auslandsaufenthalt. Obwohl ich den Grund gar nicht so richtig begreifen konnte, habe ich mich dann im Juli 2010 doch dazu bringen lassen, mal ein Blutbild bei meiner damaligen Hausärztin zu machen. Meine Blutwerte sahen soweit ganz in Ordnung aus. Mein Hb war bei 12,1 g/dl, Leukozyten bei 6,7 Mrd/l, nur meine Thrombozyten waren mit 129 Mrd/l etwas verringert. Ein halbes Jahr später wurde erneut Blut abgenommen mit einem ähnlichen Ergebnis, nur dass meine Thrombozyten nochmal etwas runtergegangen sind und bei 104 Mrd/l lagen. Meine Ärztin überwies mich an eine niedergelassene Hämatologie-Praxis in Hamburg, die deutlich mehr Parameter kontrollierten – unter anderem auch meine LDH, die da schon bei 446 U/l war. Meine niedrigen Thrombozyten konnte man sich nicht wirklich erklären und so wurde ich mit einer immunbedingten Thrombozytopenie wieder verabschiedet. Meine Blutwerte wurden auf Empfehlung der Hämatologie weiterhin kontrolliert und hielten sich soweit ganz gut. Bis 2014 schwankten meine Thrombozyten zwischen 80-100 Mrd/l herum, mein Hb hielt sich um und bei 11-12 g/dl und meine Neutrophilen fielen mit den Jahren auf 1 Mrd/l ab.

Mir ging es weiterhin so wie auch schon in der Zeit, als ich in den USA war. Ich hatte schon immer einen stabilen sozialen Kreis an Freunden und Familie um mich herum und so habe ich mit viel Unterstützung von außen auch mein Abitur gemeistert. In Texas hatte ich angefangen Fußball zu spielen, was bei 35 Grad auf dem Rasen schon sehr anstrengend war, mir aber trotzdem Spaß gemacht hat. Vor allem der Teamsport hat’s mir angetan und im FSJ, das ich 2012 nach meinem Abi machte, habe ich eine Freundin kennengelernt, die schon seit Jahren in einer Mannschaft spielte, die dringend Zuwachs suchte. Das passte perfekt und da ich ja auch aus meiner Erschöpfung rausfinden wollte, war Sport für mich die Lösung. Allerdings stellte sich nie so richtig eine Leistungsverbesserung ein, sodass ich nicht wirklich fitter wurde. Ein bisschen wunderte ich mich, dass ich so viele blaue Flecken bekam und mein rechter Fuß, mit dem ich geschossen habe, nach dem Training immer komplett blau war. Meine Gedanken dazu waren, dass das wohl jede/r haben müsste, wenn er/sie Fußball spielt.

Mein FSJ auf einer Kinderstation lief auch schleppend. Auffällig war, dass ich mich oft gar nicht richtig konzentrieren konnte und mich die Arbeit dort viel mehr schlauchte als die anderen FSJler/innen. Eine unserer Aufgaben war es, die frischen Betten für die Kinder aus dem Bettenkeller zu holen. Wir haben uns oft noch kurz da hingesetzt, wobei ich meistens eingeschlafen bin. Eine Freundin und FSJlerin stand Wache und ich konnte kurz powernappen (wir wurden nie erwischt 😊). In der Zeit habe ich mit Freunden auch oft Kurztrips gemacht und irgendwie wurde es auch normal, dass Johanna jede freie Minute auf Reisen nutzte, um zu schlafen.

Im Februar 2014 habe ich meine Ausbildung zur Speditionskauffrau begonnen und 2017 beendet. Die Erschöpfung, fehlende Leistungsstärke, Konzentrationsschwäche und Müdigkeit zogen sich wie ein roter Faden da durch. Mit viel Verständnis und Hilfe meiner Mitschüler/innen habe ich aber alles immer irgendwie gepackt. Während der Ausbildung hatte ich 2015 dann noch einen Blinddarmdurchbruch, bei dem im OP wohl auffiel, dass ich mehr Blut verliere, als normal ist. Mir wurde nochmal geraten, das weiter abklären zu lassen, was ich dann auch tat. Ein befreundeter Hämatologe aus der Familie schaute sich mein Blut genauer an, konnte aber bis auf eine Faktor V Leiden Mutation (angeborener Gendefekt, bei dem es zu Störungen der Blutgerinnung kommt und der ein erhöhtes Risiko für Thrombosen mitbringt) nicht mehr feststellen. Wegen des erhöhten Thromboserisikos sollte ich die Antibabypille nicht einnehmen und vor einer Flugreise eine Prophylaxe nehmen.

Mein Blutbild war weiterhin stabil. Nach Beendigung meiner Ausbildung wurde ich 2017 bei der Spedition fest angestellt und begann parallel dazu mein Studium in Flensburg. Ich habe mich sehr gefreut in eine neue Stadt zu ziehen, konnte das Segeln auch wieder weiter machen und hatte richtig viel Spaß. Das Lernen fiel mir schwer, aber ich boxte mich so durch und konnte die ersten Semester auch ganz gut bewältigen.

Anfang 2019 (ich bin gerade 26 geworden) sind eine Freundin und ich in den Semesterferien nach Thailand geflogen, um dort ein paar Wochen zu reisen. Die Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit haben mich allerdings wieder sehr erschlagen und so mussten wir die ersten Tage in Bangkok im Hotel verbringen, weil mir alles zu viel wurde. Wir freuten uns aber auf die Inseln und die Abkühlung, also flogen wir weiter und fuhren dann auf die abgelegensten Inseln Thailands, was super schön war. Ich merkte aber immer mehr, dass ich schlechter Luft bekam und habe mir Sorgen gemacht. Durch das erhöhte Thromboserisiko (Faktor V Leiden Mutation) hatte ich ohnehin schon mehr Sorgen beim Fliegen und dann auch noch die Luft und die sehr viel stärker werdende Erschöpfung. Also machte ich noch in Thailand einen Termin für eine Kontrolle bei meinem Hämatologen in Hamburg ab. Ich habe einen Termin bei einer anderen Ärztin in der Praxis bekommen, die gleich gesehen hat, dass da was nicht stimmen kann. Meine Thrombozyten waren mittlerweile nur noch bei 60 Mrd/l, mein Hb bei knapp über 10 g/dl und meine Leukozyten, aber vor allem neutrophile Granulozyten deutlich vermindert. Sie wollte noch in derselben Woche eine Knochenmarkpunktion und -stanze machen, die ich aber nicht so richtig für nötig hielt und zwischendurch auch wieder abgesagt habe (aber am Ende dann gemacht habe). Meine LDH lag mittlerweile schwankend zwischen 600-700 U/l und nach einer Durchflusszytometrie kam dann auch schnell die Diagnose PNH mit einem Klon von 55%. Ich sollte zügig mit einer täglichen Thromboseprophylaxe starten und dann auch mit dem gerade neu zugelassenen Ravulizumab behandelt werden.

Ich wechselte von der Hämatologie-Praxis in die Uniklinik und entschied mich für eine Behandlung mit Ciclosporin. Für mich mit der moderaten Aplastischen Anämie kam die EMAA-Studie infrage, bei der gleichzeitig zu Ciclosporin Eltrombopag gegeben wird, um die Stammzellen im Knochenmark ein bisschen zu aktivieren. Ich bekam die ersten sechs Monate das Placebo. Das war auch ziemlich schnell klar, denn meine Blutwerte veränderten sich nicht gravierend. Und auch der Hb stieg nicht wirklich an durch das Ravulizumab. Mir ging es weiterhin auch nicht besser, im Gegenteil. Ich hatte noch mehr mit Kopfschmerzen zu kämpfen, musste mich mehr ausruhen und dazu kamen auch noch die Nebenwirkungen von Ciclosporin.

Mit der Entscheidung einer Behandlung wuchs natürlich auch die Hoffnung, dass es mir bald besser ging und ich mein zunächst pausiertes Studium wieder aufnehmen kann. So richtig wollte mir das aber nicht gelingen und ich versuchte immer mal was zu schaffen, merkte aber auch, dass ich einfach zu erschöpft bin. In der Zwischenzeit zog ich wieder aus Flensburg zurück in meine Heimat Hamburg, um näher bei der Familie zu sein. Kurz darauf begann die Pandemie und nachdem der Sommer 2020 erstmal ganz schön war, bekam ich immer mehr Kopfschmerzen. Mitte Juli bemerkte ich morgens, dass meine linke Körperhälfte vom Hals abwärts bis zum Knie taub war. Ich rief schnell die 112 und kam direkt mit in die Zentrale Notaufnahme (ZNA). Ich habe mir schon oft überlegt und Sätze vorbereitet, die ich in solchen Momenten sagen würde und versuchte den Ärzt.innen zu erklären, dass ich eine PNH habe und es zu schweren Thrombosen kommen kann. Nach langen sechs Stunden Wartezeit, in denen ich in der ZNA schon mit sehr viel Übelkeit und Erbrechen zu tun hatte, wurde endlich ein MRT gemacht, bei dem dann eine Thrombose im Sinus sagittalis superior – einer Vene im Gehirn – mit Beteiligung einer Brückenvene rechts frontal gesehen wurde. Ich kam sofort auf die Stroke Unit und wurde streng überwacht. Übelkeit und Erbrechen hörten nur langsam auf und ich freute mich einfach nur über ein Bett und eine Dusche. Ich durfte duschen und merkte, dass sich meine linke Seite stark anfing zu krampfen. Mein Brustkorb und in meinem Kopf krampfte es sehr stark und es kamen schnell Pfleger.innen dazu, die mich gerade noch so auffangen konnten, bevor ich bewusstlos wurde. Für mich fühlte sich das an und mir war ziemlich klar, dass ich gerade sterbe. Nachdem ich aufgewacht bin, war ich einfach nur glücklich und habe auch immer wieder ausgesprochen, dass ich mich freue zu leben. Ich glaube, so ein Glücksgefühl hatte ich noch nie in meinem Leben vorher. Ich wurde auf ein Antiepileptikum eingestellt und bekam zum Glück auch nie wieder einen epileptischen Anfall. Allerdings wurde ich sehr ängstlich, traute mich gar nicht mehr allein im Badezimmer zu duschen und war sehr verunsichert. Schon lange vorher haben meine Schwester und ich eine Reise mit einem Camper geplant, die wir dann trotz meiner Angst auch direkt nach dem Klinikaufenthalt gemacht haben. Ich hatte immer wieder Panikattacken, aber konnte aus der Reise trotzdem ganz viel Kraft tanken. Mithilfe meiner Psychotherapeutin konnte ich die Ängste auch wieder loswerden und war ungefähr ein Jahr nach der Sinusvenenthrombose frei von Panikattacken.

Die Sinusvenenthrombose kam, nachdem ich vier Monate in der Studie behandelt wurde und somit musste aufgedeckt werden, ob ich das Studienmedikament bekomme oder nicht. Ich war in der Placebogruppe und es wurde beschlossen, dann direkt mit Eltrombopag anzufangen. Ob die Thrombose von der PNH kam oder von der Faktor V Leiden Mutation ist schwer zu sagen. Vielleicht war es auch eine ungünstige Kombi aus beidem?

Ciclosporin in der Kombi mit Eltrombopag half sehr, sodass meine Werte soweit erstmal gut waren und ich begann, das Eltrombopag abzusetzen und das Ciclosporin etwas auszuschleichen.

Mitte 2022 gingen meine Thrombozyten hoch bis 180 Mrd/l, die Leukozyten waren stabil um die 2 Mrd/l herum, nur mein Hb wollte nicht so richtig ansteigen. Der war bei 9,1 g/dl und ich merkte auch, dass es mir nach wie vor nicht gut ging. Die Fatigue wurde mit der Zeit immer stärker, sodass an Studieren und Arbeiten gar nicht zu denken war. Ich versuchte täglich an die frische Luft zu gehen, konnte sonst aber nicht viel machen, weil mich die Fatigue richtig fest im Griff hatte.

Ende 2021 war dann klar, dass ein neues Medikament, ein C3-Komplementinhibitor zugelassen wird, der auch die extravasale Hämolyse verhindert und Anfang 2022 verfügbar sein soll. Für mich war das ein großer Lichtblick und ich fing im Mai 2022 an, mir zwei Mal die Woche Pegcetacoplan subkutan über die Bauchdecke zu applizieren. Es dauerte gar nicht lange, bis es anfing zu wirken und ich merkte schon nach 1,5 Wochen, dass diese schwere körperliche Fatigue viel besser wurde und auch mein Hb hochging. Ich konnte mein Leben so viel mehr genießen und hatte einen richtig schönen Sommer 2022.

Die kognitive Fatigue ist allerdings immer noch stark und mein Studium fällt mir schwer. Ich setze mein Studium an einer privaten Hochschule fort, habe ein Teilstipendium bekommen und kann somit ganz in Ruhe meine Prüfungen ablegen.

Das Reduzieren von Ciclosporin ist nicht ganz einfach und meine Werte sinken schnell, sind aber noch soweit in Ordnung. Wie die Behandlung da weitergeht, schaue ich noch.

Mir hat es sehr geholfen, mich von Anfang an zu vernetzen und auszutauschen. Ich habe viel Sicherheit gewonnen, indem ich mich immer weiter informiert habe und auch jetzt noch viel lese, recherchiere und alles an Informationen mitnehme. Ich bin nach wie vor regelmäßig mit Dr. Panse in Aachen in Kontakt und werde dort mitbetreut. Außerdem habe ich zu beiden Patientenvertretungen viel Kontakt und bin sehr froh, dass wir so tolle Unterstützung bekommen und beide viel zur Forschung an den Erkrankungen und Behandlungen beitragen. Die PNH und Aplastische Anämie sind Teil meines Lebens geworden und auch immer wieder vordergründig. Ich mache mir viele Gedanken, wie es weitergeht und welche Behandlungen ich für mich möchte und was meine Wünsche fürs Leben sind und bin froh, dass mir die Aplastische Anämie die Zeit dafür „gibt“. Ich versuche auf meinen Körper zu hören, gebe bei Erschöpfung nach und nehme trotzdem auch die schönen Dinge des Lebens mit. Ich habe noch viele Reisen vor und möchte mein Studium beenden und (wenn auch nicht in Vollzeit) arbeiten.

März 2023

Kontakt gern per E-Mail an johannahamburg1(at)web.de