Veröffentlichungen zur PNH auf dem EHA-Kongress 2022

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Zusammenfassung der neuesten Forschungsergebnisse

Im Juni hat in Wien der diesjährige Kongress der European Hematology Association (EHA) stattgefunden. Es ist die wichtigste europäische Hämatologie-Tagung, bei der jedes Jahr die aktuellen Forschungsergebnisse renommierter Expert.innen des Fachgebiets vorgestellt werden. Auch der PNH wird dort eine Plattform geboten: In diesem Artikel möchten wir Ihnen kurz die wichtigsten Studien des letzten Jahres vorstellen, die auf dem Kongress präsentiert wurden.

Unter den monoklonalen Antikörpern, einer hochspezialisierten Gruppe von Arzneimitteln, gehört das seit 15 Jahren verfügbare Eculizumab zu den „älteren“. Eculizumab bindet an eine bestimmte Stelle des Immunsystems, das C5-Komplementprotein, und sorgt für dessen Inaktivierung: Ein komplizierter immunologischer Vorgang, der jedoch letztendlich einfach dazu führt, dass weniger Erythrozyten abgebaut werden und somit die Hämolyse verringert wird. Die Zulassung in den USA und in der EU als „Orphan“-Arzneimittel (Medikament zur Behandlung einer seltenen Erkrankung) erfolgte bereits im Jahr 2007.

Seitdem wird an Eculizumab geforscht: Besonders Langzeit-Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie sind für die Wissenschaft – vor allem aber für die Patient.innen! – von großem Interesse. In einer Studie mit PNH-Patient.innen aus der Schweiz wurden Daten aus fast zehn Jahren PNH-Therapie gesammelt: Eine ausgeprägte LDH-Senkung, ein geringerer Bedarf an Erythrozyten-Transfusionen und ein stabiles Hämoglobin sowie ein geringeres Auftreten von Thrombosen unter Eculizumab-Behandlung deuten für die Forscher.innen auf eine gute Sicherheit und Wirksamkeit des Medikamentes bei langer Einnahme hin.

Mehrere C5-Inhibitoren wurden seit der erstmaligen Herstellung von Eculizumab entwickelt:

ABP 959, CAN106 und SB12 zeigen in ersten Studien eine vergleichbare Wirksamkeit zu Eculizumab – es fehlen jedoch noch groß angelegte Vergleichsstudien zur Wirksamkeit und Sicherheit dieser neuen Medikamente. Die wohl bekannteste Weiterentwicklung aus Eculizumab ist Ravulizumab, ebenfalls ein C5-Komplementinhibitor und seit 2019 auch EU-zugelassenes PNH-Therapeutikum. Ravulizumab hat den Vorteil eines längeren Dosis-Intervalls (acht statt zwei Wochen) und wird außerdem seit einiger Zeit in Studien auch als subkutane Injektion (unter die Haut) statt wie bisher (und wie bei Eculizumab geläufig) als intravenöse Infusion (über einen Venenzugang ins Blutsystem) verabreicht.

Eine aktuelle Studie vergleicht Wirksamkeit, Sicherheit und Patien.innenvorliebe der beiden Anwendungsformen von Ravulizumab: Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Patient.innen mit einer bestehenden intravenösen Eculizumab- oder Ravulizumab-Therapie auf eine subkutane Ravulizumab-Gabe umgestellt werden können, ohne einen Wirkverlust der Therapie befürchten zu müssen. Viele Patient.innen empfanden die subkutane Medikamentengabe als weniger belastend im Vergleich zur intravenösen Therapie.

Eine andere retrospektive (rückblickende) Datenauswertung beschäftigt sich noch einmal allgemein mit der Wirksamkeit von Ravulizumab: Sie kommt zwar zu dem ernüchternden Ergebnis, dass sich der Hb-Wert in vielen Fällen nicht signifikant durch eine Ravulizumab-Therapie verbesserte, jedoch wurden in der Studie auch nur Daten von 36 Patient.innen verwendet und die Auswertung fand bereits ein halbes Jahr nach Therapiebeginn statt.

Wichtig ist es in diesem Zusammenhang, die Langzeitwirkung einer Ravulizumab-Therapie auf die Sterblichkeit von PNH-Patient.innen zu betrachten: Die Langzeitbehandlung von 475 PNH-Patient.innen mit Ravulizumab war mit einer niedrigen Sterblichkeitsrate verbunden und nur wenige Patient.innen starben aufgrund einer Infektion, sodass diese Analyse den langfristigen Einsatz von Ravulizumab bei PNH deutlich unterstützt.

Ein neues Medikament, das wie Eculizumab und Ravulizumab den C5-Komplementkomplex hemmt, ist Crovalimab. Crovalimab befindet sich derzeit in der Erforschung und ist nicht zur PNH-Therapie zugelassen. Daten einer aktuellen Studie weisen darauf hin, dass eine neu begonnene oder auf Crovalimab umgestellte Therapie keine Verschlechterung der Krankheitskontrolle herbeiführt. Müdigkeit, Funktionsfähigkeit und gesundheitsbezogene Lebensqualität verbesserten sich nur bei Patient.innen, die vorher keine spezifische PNH-Therapie erhielten; bei Eculizumab-/Ravulizumab-Vorbehandelten gab es keine Veränderung. Es handelt sich jedoch um eine frühe Phase der Testung (Phase I/II Studie): Das Medikament muss sich hinsichtlich Wirksamkeit, Sicherheit und Überlegenheit gegenüber bisherigen Therapieoptionen erst noch in groß angelegten Studien etablieren.

Ein anderes, zunehmend eingesetztes Medikament ist Pegcetacoplan. Pegcetacoplan ist seit 2021 in der EU zur PNH-Behandlung zugelassen und seit Frühjahr 2022 verfügbar. Es wirkt ebenfalls über eine Inhibierung des Komplementsystems, jedoch nicht des C5-, sondern des C3-Proteins. Wir berichteten bereits, dass mit Pegcetacoplan nun ein Medikament auf dem Markt ist, das die Hämolyse noch umfassender (extravaskulär zusätzlich zu intravaskulär) verhindern können soll, als die zugelassenen Medikamente zuvor es konnten. Eine Auswertung aus diesem Jahr konstatiert eine bessere Wirksamkeit von Pegcetacoplan verglichen mit Eculizumab oder Ravulizumab. Es handelt sich hier jedoch nicht um eine randomisiert-kontrollierte Studie (die am höchsten angesehene Form wissenschaftlicher Studien, bei der eine an derselben Krankheit leidende Gruppe in verschiedene Untergruppen mit abweichenden Therapien aufgeteilt wird und am Ende ausgewertet wird, was am meisten nützt und am wenigsten schadet). Stattdessen werden in beschriebenem Artikel Patient.innen verschiedener Ausgangsstudien ausgewählt und miteinander verglichen (matching-adjusted indirect comparison, MAIC). Diese Form der Analyse hat wissenschaftlich weniger Aussagekraft, ist jedoch in bisheriger Ermangelung großangelegter randomisiert-kontrollierter Vergleichsstudien Pegcetacoplan/Eculizumab/Ravulizumab ein wichtiger Hinweisgeber für eine gute Wirksamkeit von Pegcetacoplan.

Ein weiteres auf dem Kongress vorgestelltes Papier beschreibt die PRINCE-Studie über Pegcetacoplan: Anhand der Daten von 53 PNH-Patient.innen wird die Wirksamkeit von Pegcetacoplan verglichen mit einer Kontrollgruppe ohne Komplementinhibitor-Therapie ausgewertet. Es zeigte sich ein signifikante Verbesserung PNH-bezogener Blutwerte verglichen mit der Kontrollgruppe. Auch konnte Pegcetacoplan bei Patient.innen, die vorher keine Komplementinhibitoren erhalten hatten und sich in der Phase einer akuten Hämolyse befanden, die LDH normalisieren und den Hb-Wert erhöhen.
Eine Arbeitsgruppe untersuchte Daten verschiedener Studien zur Pegcetacoplan-Wirksamkeit hinsichtlich dessen Sicherheit, Hb-/LDH-Wirksamkeit und dessen Einfluss auf Retikulozytenzahl und Fatigue. Verschiedene initial erhöhte Hämolyseparameter verbesserten sich unter PNH-Therapie. Die Autor.innen kamen zu dem Ergebnis, dass Pegcetacoplan besonders bei Patient.innen mit weniger schwerer Anämie unabhängig von einer vorherigen Behandlung mit Komplementinhibitoren langfristig wirksam sein kann.
Eine Analyse von Daten ähnlicher Ausgangsstudien hinsichtlich des Einflusses von Pegcetacoplan auf die Entstehung von Thrombosen, einem häufigen Problem von untherapierten PNH-Patient.innen, konnte zeigen, dass thrombotische Ereignisse tatsächlich seltener auftraten und Pegcetacoplan somit auch in dieser Hinsicht Wirkung zeigt.

Weitere PNH-Medikamente befinden sich in der Entwicklung: Bei BCX9930 handelt es sich ebenfalls um ein Medikament, das in die Komplementkaskade eingreift, und zwar insbesondere in den bisher wenig anvisierten Faktor D. Während erste Ergebnisse hinsichtlich der Wirkung auf Hb, LDH und Fatigue vielversprechend waren, wurde die Studie im April dieses Jahres jedoch unterbrochen. Es bestand der Verdacht eines schädigenden Einflusses von BCX9930 auf die Nieren einiger Patient.innen. Die Studie wurde Anfang August 2022 mit reduzierter Medikamentendosis jedoch wieder aufgenommen.

Text: Katharina von Villiez