AA-/PNH-Workshop im Rahmen des 26. DLH-Patientenkongresses

Teilnehmer des DLH-Patientenkongresses im Foyer des Maritim Hotels Magdeburg © Stefan Deutsch

Teilnehmer des DLH-Patientenkongresses im Foyer des Maritim Hotels Magdeburg © Stefan Deutsch

Zusammenfassung des Vortrags und Online-Abruf

Einer der schönsten Aspekte der Vereinsarbeit ist der persönliche Austausch mit anderen Betroffenen und Experten. Somit war unser persönliches Highlight des 26. DLH-Kongresses in Magdeburg natürlich der Workshop zur AA und PNH, der über 2 Stunden neuen intensiven Input lieferte.

Die Leitung übernahmen Prof. Dr. Jörg Westermann von der Charité als Vortragender und unsere Vereinsvorsitzende Ulrike Göbel in der Moderation.. Sobald sich alle interessierten Zuhörenden eingefunden hatten, startete Prof. Dr. Westermann direkt mit dem ersten Teil zur Aplastischen Anämie.

Die Aplastische Anämie ist definiert durch die Verminderung von mindestens zwei Zellreihen im Blut durch ein Versagen der Produktion im Knochenmark. Betroffen sein können die Erythrozyten, Thrombozyten und Leukozyten, bei letzterem ist besonders die Untergruppe der neutrophilen Granulozyten hervorzuheben.

Mit 2 bis 3 Neuerkrankungen pro 1 Millionen Einwohner im Jahr gehört sie zu den seltenen Erkrankungen. Bei 80 % aller Erkrankten ist die genaue Ursache nicht bekannt („idiopathisch“). Es sind zwar verschiedene Risikofaktoren für die Entstehung der Krankheit bekannt, es war Herrn Prof. Dr. Westermann jedoch wichtig zu betonen, dass das Vorhandensein dieser in den allermeisten Fällen trotzdem nicht zur Auslösung der AA führt. Zu den bisher bekannten gehören virale Erkrankungen, Entzündungen der Leber („Hepatitiden“) und bestimmte Medikamente, darunter das anti-entzündliche Medikament Diclofenac oder das Carbamazepin, eingesetzt bei Epilepsien.

Je nachdem, welche Zellreihe betroffen ist, zeigen sich verschiedene Symptome. Stehen Beschwerden wie Müdigkeit, Luftnot, Blässe und Abgeschlagenheit im Vordergrund, sind die Erythrozyten betroffen und es besteht eine Anämie. Ein Mangel an Thrombozyten führt zu kleineren und größeren Blutungen im Körper. Nicht selten zeigt sich solch einer erst bei größeren Verletzungen oder Operationen. Eine Verringerung der Leukozyten hat eine erhöhte Infektanfälligkeit zur Folge.

Unterschieden wird bei der AA zwischen den Formen nicht schweren („nSAA“), schwer („SAA“) und sehr schwer („vSAA“). Welche Form diagnostiziert wird, hängt neben anderen Kriterien maßgeblich von der Zahl neutrophiler Granulozyten im Blut ab.

Die SAA und die vSAA werden bei jedem Patienten behandelt, die nSAA nur bei beeinträchtigender Belastung durch die Symptome. Vor Beginn der Therapie muss ausgeschlossen werden, dass es sich um eine der noch selteneren erblichen Formen wie dem Fanconi-Syndrom und Telomeropathien handelt. Die Behandlung dieser Erkrankungen unterscheidet sich von der der erworbenen AA.

Sobald dies geschehen ist, kann mit der Erstlinientherapie begonnen werden. Prof. Westermann beschrieb, dass die Krankheit ähnlich funktioniert wie Rheuma, nur dass hier der Fokus nicht auf den Gelenken liegt, sondern auf dem Knochenmark. Es erfolgt dort eine körpereigene Immunreaktion gegen die eigenen Zellen. Daraus folgt, dass die Behandlung das eigene Immunsystem zumindest in Teilen hemmen muss. Bei der AA erfolgt das mittels der Gabe von Antithymozytenglobulin („ATG“) vom Pferd über mehrere Tage und der gleichzeitigen Gabe von Ciclosporin A, je nach Ansprechen über mehrere Jahre, mindestens aber zwölf Monate. Falls diese Kombination bei dem ersten Versuch nicht wirkt, kann sie ein zweites Mal wiederholt werden.

Weitere Optionen nach erneutem Therapieversagen wären der Antikörper Alemtuzumab, der bei 40-50% eine unterschiedlich stark ausgeprägte Wirkung zeigen kann. Gerade bei jüngeren Patienten, die an einer SAA oder vSAA leiden, bietet sich unter Umständen eine allogene Stammzelltransplantation an. Das bedeutet, dass man Blutzellen eines fremden Spenders zugeführt bekommt, die sich noch in einem Stadium vor ihrer Entwicklung in eine der Zellreihen befinden.

Im Anschluss an den Vortrag kamen mehrere Fragen zu Studien, Medikamenten und Transfusionen auf. Mehr in Erinnerung wird wohl aber die Diskussion über die Zulassung von Medikamenten bleiben. Eltrombopag zeigte bereits in mehreren Studien, dass es nicht nur als Letztlinientherapie Wirkung zeigt, sondern bereits in Kombination mit der Erstgabe ATG und Ciclosporin A teils zu schnellerer bzw. deutlicherer Verbesserung der Blutwerte bei SAA und vSAA führt. Neben der RACE-Studie, die wir bereits hier vorstellten, gibt es noch weitere (z.B. Vieri et al., Townsley et al.), die dasselbe schlussfolgerten. Nichtsdestotrotz geht Herr Prof. Westermann davon aus, dass Eltrombopag aufgrund fehlender Zulassung ein off-label-use bleiben wird, was auf wirtschaftliche Gründe zurückzuführen ist. Somit bleibt der Weg, um das Medikament zu erhalten, voll von Hürden. Dies brachte die Teilnehmer des Workshops zu einem Gespräch über die Frustration darüber, wie viel Entscheidungsgewalt finanzielle Aspekte über die Zulassung von Medikamenten haben, bei denen bestenfalls nur im Vordergrund stehen sollte, wie hilfreich sie sind. So wurde uns erneut aufgezeigt, wie viel Arbeit noch getan muss.

Der Vortrag über die Paroxysmale Nächtliche Hämoglobinurie begann ebenfalls mit der Definition der Erkrankung. Durch im Laufe des Lebens erworbene Mutationen wird die Oberfläche der Erythrozyten so verändert, dass sie anfällig werden für Angriffe durch einen Teil des Immunsystems, dem Komplementsystem. Mit nur 1,3 Neuerkrankungen pro 1 Millionen Einwohner im Jahr gehört sie ebenso zu den seltenen Erkrankungen.

Zusätzlich zu der hier auftretenden Anämie kann es anders als bei der AA zu einer erhöhten Neigung für Thrombosen kommen. Dies ist ein Resultat daraus, dass es sich hier um eine hämolytische Anämie handelt, was bedeutet, dass vermehrt der Farbstoff der Erythrozyten freigesetzt wird. Dieser bindet Stickstoffmonoxid, welches normalerweise das Thromboserisiko verringert. Wird es in seiner Arbeit gehemmt, kommt es im Körper z.B. vermehrt zu einer Verstopfung von Blutgefäßen in denen Beinen oder der Lunge. Weitere Symptome können Fatigue, Bauchschmerzen, ein brauner Urin am Morgen und Bluthochdruck sein.

Die eben beschriebene Ausprägung der PNH beschreibt die klassische Form. Stehen aber nicht diese Symptome im Vordergrund, sondern eine eingeschränkte Knochenmarkfunktion, die auch andere Zellreihen betrifft, können PNH und AA nebeneinander vorliegen. Der genaue Zusammenhang zwischen den beiden Erkrankungen ist nicht endgültig geklärt. Prof Westermann lieferte mehrere mögliche Verbindungen. Zum einen sind die Zellen, die die zur PNH führenden Mutationen besitzen, stabiler als andere gegenüber Angriffen des Immunsystems, sodass andere Zellreihen schneller verdrängt werden. Zum anderen weisen über 50 % der Patienten mit AA zum Diagnosezeitpunkt bereits eine kleine oder moderate Menge an PNH-typischen Zellveränderungen auf. Weitere Erklärungsansätze sind möglich und werden diskutiert. Beide Erkrankungen können in die jeweils andere übergehen.

Neben der Symptomtherapie steht die Verringerung der Hämolyse, der Fatigue, der Thrombosen und der Organschäden sowie mittlerweile die Verbesserung der Lebensqualität im Vordergrund. Wie bereits oben erwähnt spielt das Komplementsystem, welches sich aus mehreren Proteinen zusammensetzt, eine zentrale Rolle im Krankheitsgeschehen. Ein Protein davon ist das C5. Mit der Entwicklung von Eculizumab, einem C5-Antikörper, konnte bereits eine deutliche Verlängerung und Verbesserung des Lebens bewirkt werden. Glücklicherweise wird trotzdem weiter geforscht, sodass u.a. mit neuen Medikamenten weniger Nebenwirkungen und seltenere Dosisgaben erzielt werden konnten. Zudem gibt es bei Patienten, bei denen Eculizumab nicht wirkt, die Möglichkeit der Verabreichung eines anderen Medikaments. Dazu gehören der andere C5-Antikörper Ravulizumab, der Faktor-D-Inhibitor Danicopan und der Faktor-B-Inhibitor Iptacopan. Potenziell kurativ kann wie bei der AA eine allogene Knochenmarktransplantation eingesetzt werden. Diese birgt jedoch ein hohes Komplikationsrisiko und ist nicht die Therapie der Wahl.

Im Anschluss an den Vortrag wurden überwiegend die Medikamente ausführlich diskutiert und verschiedene Studien besprochen.

Alles in einem hielt Prof. Dr. Jörg Westermann einen umfassenden Vortrag, der alle Wissenslevel abdeckte und das Publikum zum weiteren Nachdenken anregte. Daraus resultierten angeregte Frage- und Diskussionsrunden, die nochmal bestätigten, dass immer weiter Neues zu den Erkrankungen herausgefunden wird. Wir freuen uns jetzt schon auf den nächsten Austausch zur AA und PNH und bedanken uns für diese Erfahrung.

Die Aufzeichnung des Vortrags steht nach Anmeldung auf der Website des DLH-Patientenkongresses zur Ansicht bereit.