Zusammenfassung des Essener PNH/AA-Patiententags 2022

Update zu PNH und AA

Noch nicht alle Veranstaltungen konnten dieses Jahr wieder in Präsenz stattfinden: Nachdem im vergangenen Jahr das Essener Patienten- und Angehörigenseminar PNH / AA bereits virtuell stattgefunden hat, wurde auch dieses Jahr wegen der Corona-Pandemie auf eine Präsenzveranstaltung verzichtet: Am 17.09.2022 fand das PNH- und AA-Update in Form einer Videokonferenz statt.

Ca. 50 Interessierte wählten sich ein und folgten zunächst der Begrüßung durch Prof. Dr. Christian Reinhardt, Direktor der Klinik für Hämatologie und Stammzelltransplantation.

Es folgte ein Vortrag von Prof. Dr. Alexander Röth, Leiter nicht-maligne Hämatologie und Gerinnung an der Uniklinik Essen und Organisator des Seminars. Er fasste Altes und vor allem Neues über die Aplastische Anämie (AA) und die Paroxysmale Nächtliche Hämoglobinurie (PNH) zu einem interessanten Update zusammen, das wir Ihnen im Folgenden kurz vorstellen möchten.

Prof. Röth begann seinen Vortrag mit einer kurzen Einleitung über die Blutbildung im Knochenmark: Aus einer gemeinsamen Stammzelle differenzieren verschiedene Zellreihen, an deren Entwicklungsende die verschiedenen Blutzellen stehen (Erythrozyten, Leukozyten, Thrombozyten). Diese verlassen das Knochenmark in die Blutgefäße und gehen dort ihrer Funktion nach – im Normalfall! Kommt es jedoch zu einer Störung dieses Ablaufs, kann es zur Entstehung von Krankheiten wie der AA oder der PNH kommen.

Der folgende Abschnitt des Vortrags wendete sich der AA zu: Zu dieser Erkrankung kommt es dadurch, dass sich Immunzellen gegen die Stammzellen des eigenen Knochenmarks wenden und diese schädigen. Es folgte eine gestörte Differenzierung – das bedeutet, dass die Blutzellentwicklung nicht zur Entstehung von funktionsfähigen Erythro-, Leuko- und Thrombozyten führt. Sie werden nur noch in verminderter Zahl produziert und können ihren eigentlichen Aufgaben im Körper nicht mehr oder nur noch eingeschränkt nachgehen, woraus sich die möglichen Symptome einer AA ergeben: Durch den Mangel an Erythrozyten (Anämie) kann es zu Blässe und schneller Erschöpfbarkeit kommen. Weitere Symptombeispiele wären Luftnot, Kopfschmerzen oder Brustschmerzen. Gibt es zu wenig Thrombozyten (Thrombopenie), stört dies die Blutgerinnung (also den Vorgang, dass Blut klumpt, um eine Blutungsquelle abzudichten). Die Folge davon sind Blutungen, die an vielen unterschiedlichen Körperstellen auftreten können. Ein Mangel an Leukozyten (Leukopenie bzw. Neutropenie bei explizitem Fehlen der Neutrophilen, einer wichtigen Unterform) führt zu erhöhter Infektanfälligkeit: Auch dies kann sich mannigfaltig darstellen – durch Zahnfleischinfektionen genauso wie durch schwere Lungenentzündungen.

Bei der PNH sieht die Sache ein wenig anders aus: Die Stammzellen werden nicht angegriffen, sondern sind zum Teil durch eine im Laufe des Lebens erworbene genetische Mutation verändert. Dadurch wird die äußere Wand der Blutzellen falsch zusammengesetzt. Das eigene Immunsystem erkennt durch diese falsche Membranzusammensetzung die Zelle nicht als körpereigen an und leitet ihre Zerstörung ein. Bei Erythrozyten nennt sich dieser Vorgang Hämolyse. Kommt es dadurch zu einem Mangel an Erythrozyten, nennt sich dies hämolytische Anämie mit den möglichen Begleitsymptomen, z.B. Müdigkeit, dunklem Urin, Bauchschmerzen und Luftnot. Gleichzeitig neigt bei der PNH das Blut oft (im Gegensatz zur AA!) dazu, zu klumpen und Gerinnsel zu bilden (Thrombophilie, Thrombus). Diese können an verschiedensten Körperstellen auftreten (z.B. in der Leber). Eine PNH kann auch gemeinsam mit einer AA auftreten.

Im Folgenden gab Prof. Röth einen Überblick über die Behandlung der AA. Eine Kombination aus mehreren Medikamenten, die alle das Immunsystem unterdrücken, gilt als Standardtherapie. Hierdurch sollen die körpereigenen Zellen, die das Knochenmark angreifen, unterdrückt und die Wiederaufnahme der Blutzellproduktion unterstützt werden. Zu diesen Medikamenten gehören bereits seit Jahren Antithymozytenglobulin (ATG), Prednisolon und Ciclosporin. Als erste und wichtigste Neuigkeit nannte Prof. Röth die (Wieder-)Zulassung von Pferde-Antithymozyten-Globulin (hATG) im Januar 2022. Bei dem Medikament handelt es sich um einen Antikörper, der mithilfe von tierischen Zellen (bspw. des Pferdes oder Kaninchens) gewonnen wird. Pferde-ATG wurde 2007 vom Markt genommen worden und musste aus dem Ausland bestellt werden. Als Alternative stand Kaninchen-ATG zur Verfügung, das jedoch insbesondere in neueren Studien schlechter abschneidet. Mit der Zulassung ist die Kostenübernahme der Therapie durch die Krankenkassen nun gesichert, wofür sich unser Verein über viele Jahre eingesetzt hat.

Es folgte die Vorstellung der RACE-Studie, deren Ergebnisse im Januar 2022 veröffentlicht wurden: Untersucht wurde die Wirkung von Eltrombopag (Revolade®) – einem Wirkstoff, der die Blutplättchenproduktion stimuliert. Eingesetzt wurde Eltrombopag in Kombination mit ATG und Ciclosporin. Es zeigte sich, dass diese Ergänzung die Wirksamkeit der immunsuppressiven Standardtherapie bei Patient.innen mit schwerer Aplastischer Anämie verbessern kann. Eltrombopag wird in Deutschland bei moderater Aplastischer Anämie in klinischen Studien in der Ersttherapie noch getestet, bei schwerer und sehr schwerer Aplastischer Anämie gilt es aufgrund der guten Studiendaten als Teil der Standardtherapie.

Prof. Röth ging auch auf die Daten einer Studie ein, die Blutwerte von Patient.innen während und nach der Eltrombopag-Behandlung untersuchte und zu dem Schluss kam, dass Bluteisen durch das Medikament effektiv eliminiert werden kann. Das kann für Menschen ein Vorteil sein, die durch regelmäßige Bluttransfusionen zu hohe Eisenwerte haben – ein starker Eisenmangel beeinträchtigt jedoch die Bildung roter Blutkörperchen. Die Eisenwerte müssen unter einer Eltrombopag-Behandlung also regelmäßig kontrolliert werden. Zusammenfassend lässt sich jedoch sagen, dass die Studienergebnisse zu Eltrombopag insgesamt sehr vielversprechend sind und eindeutig eine Verbesserung der AA-Therapie durch das Medikament nahelegen. Eine Zulassung (die mit einer Kostenübernahme einhergehen würde) ist beantragt, so dass Eltrombopag hoffentlich bald auch in dieser Hinsicht zu den Medikamenten der Standardtherapie gehören wird.

Bei der PNH-Therapie liegt der Fokus darauf, die oben beschriebene Hämolyse zu verhindern. Dafür stehen verschiedene Antikörper zur Verfügung: Sie greifen an unterschiedlichen Stellen in die Komplementkaskade ein – ein immunologischer Ablauf, der am Ende zur Auflösung der “PNH-Erythrozyten” führt. Der seit 2007 zugelassene Antikörper Eculizumab greift, genau wie die beiden neueren Substanzen Ravulizumab (bereits zugelassen) und Crovalimab (noch in der wissenschaftlichen Erprobungsphase) in der Mitte dieses Prozesses ein (an der sogenannten C5-Stelle). Diese Medikamente verringern die Hämolyse in den Blutgefäßen deutlich – sie können jedoch die Hämolyse an anderen Orten im Körper wie z.B. in der Milz nicht verhindern. Professor Röth leitete nun zur Vorstellung von Pegcetacoplan über, ein Medikament, das seit Dezember 2021 zur PNH-Behandlung zugelassen ist. Um inhaltliche Dopplungen zu vermeiden, sei an dieser Stelle auf den nachfolgenden Artikel in diesem Berichtsheft verwiesen, in welchem Wirkweise, Anwendung und alles Weitere über Pegcetacoplan von uns ausführlich erläutert werden.

Als letztes Medikament zur PNH-Behandlung wurde Iptacopan vorgestellt – ein sogenannter Faktor-B-Blocker (ebenfalls Teil des Komplementsystems), der in Kapselform zu sich genommen wird. Das Medikament befindet sich zurzeit in der klinischen Erprobung.

Für alle oben genannte Medikamente gilt, dass mit Therapiebeginn eine Meningokokkenschutzimpfung durchgeführt werden muss. Alle drei Jahre muss diese Impfung aufgefrischt werden. Da es in seltenen Fällen trotz der Impfung zu einer Meningokokkeninfektion kommen kann, müssen Patient.innen unter Komplementtherapie besonders aufmerksam sein, was die Symptome einer Hirnhautentzündung (Meningitis) angeht (plötzliche starke Kopfschmerzen mit Übelkeit und/oder Erbrechen, steifer Nacken, Fieber und Hautausschlag, Lichtempfindlichkeit und starke Muskelschmerzen mit grippeartigen Symptomen). Eine schnelle ärztliche Vorstellung und der sofortige Beginn einer antibiotischen Behandlung können lebensentscheidend sein. Diese soll in manchen Fällen auch ohne ärztlichen Kontakt als sogenannte Standby-Therapie (750 mg Ciprofloxacin, ein Antibiotikum) eingenommen werden – das muss aber vorher mit der/dem behandelnden Ärztin oder Arzt besprochen werden.

Fragen der Anwesenden waren sowohl während der Vorträge als auch im Anschluss nach einer kurzen Pause möglich; daneben hatten unser Verein sowie die Stiftung lichterzellen Gelegenheit, ihre Arbeit zu präsentieren. Wir bedanken uns herzlich für den interessanten Vortrag mit den wichtigen Neuerungen und teilen Prof. Röths Hoffnung, uns beim Essener Patienten- und Angehörigenseminar 2023 endlich wieder persönlich begegnen zu können!

Die Präsentation senden wir Ihnen auf Wunsch gern zu.

Text: Katharina von Villiez und Ulrike Göbel